Politische Kultur im Brennpunkt - Rot-Grün verlässt den Saal
Neujahrsempfang der Stadt Groß-Umstadt im altehrwürdigen, gut gefüllten Rittersaal des Pfälzer Schlosses: Stadtverordnetenvorsteher Matthias Kreh (SPD) als erster Bürger der Stadt lobt vor gut 200 anwesenden Bürgerinnen und Bürgern die vorbildliche Diskussionskultur im Stadtparlament. Wenige Tage später, gleicher Ort: Die Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen verlassen vor der anstehenden Abstimmung über den Haushaltsplan 2019 stillschweigend den Saal.
Neujahrsempfang der Stadt Groß-Umstadt im altehrwürdigen, gut gefüllten Rittersaal des Pfälzer Schlosses: Stadtverordnetenvorsteher Matthias Kreh (SPD) als erster Bürger der Stadt lobt vor gut 200 anwesenden Bürgerinnen und Bürgern die vorbildliche Diskussionskultur im Stadtparlament. Wenige Tage später, gleicher Ort: Die Koalitionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen verlassen vor der anstehenden Abstimmung über den Haushaltsplan 2019 stillschweigend den Saal.
Was war geschehen? In den Beratungen des Abends zum Haushaltsplan der Stadt Groß-Umstadt wurde deutlich, dass die Fraktionen von BVG, CDU und FDP dem Planentwurf schwerlich zustimmen könnten. Man vermisste in dem umfangreichen Zahlenwerk den Willen zum Sparen und zur Nachhaltigkeit und erst recht jede Perspektive für eine zukunftsfähige Entwicklung oder gar eine Entlastung für den Bürger. Ein Berg von Altschulden und eine schwindelerregende Neuverschuldung werden hinter einem, mit einem kleinen Plus ausgeglichenen, operativen Jahresergebnis gerne versteckt. Dessen Geheimnis verbirgt sich allerdings weniger hinter gutem Verwalten und Wirtschaften als vielmehr einer guten Gesamtkonjunktur mit hohen Zuweisungen aus (noch) sprudelnden Steuereinnahmen des Bundes und des Landes. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Dieses Motto nicht nur der schwäbischen Hausfrau ist der rot-grünen Rathausmehrheit in Groß-Umstadt allerdings eher fremd.
Stichwort Mehrheit: Angesichts einiger leerer Plätze dämmerte es Rot-Grün, dass es an diesem Abend für eine Mehrheit am Ende nicht reichen könnte. Auch dann nicht, als zu vorgerückter Stunde und nach hektischen Aktivitäten einiger Protagonisten am Smartphone tatsächlich noch ein Stadtverordneter zur Regierungskoalition hinzustieß. Die zahlreichen Änderungsanträge wurden noch brav beraten und brachten die eine oder andere kleine Verbesserung zustande, ohne freilich das Gesamtbild noch ändern zu können. Dann sollte es zur Abstimmung gehen, wie es sich in einem demokratischen Stadtparlament gehört.
Stichwort Demokratie: Aus gutem Grunde benötigt auch eine regierende Koalition bei jeder einzelnen Abstimmung eine demokratische Mehrheit. Das scheint bei SPD und Grünen in Groß-Umstadt aber nur zu gelten, wenn gewiss ist, dass die Abstimmung auch nach eigenem Gusto ausgeht. Ebendies war an diesem Abend nicht garantiert. Ausweg: Man zieht die Notbremse und stellt durch Ausmarsch plötzlich und willkürlich Beschlussunfähigkeit her, um dann zu einem späteren Zeitpunkt bei gesicherter Mehrheit neu anzusetzen. Geschickter Verfahrenstrick gewiefter Politstrategen? Mitnichten, denn die Geschäftsordnung der Stadtverordnetenversammlung sieht einen solchen Eingriff in die demokratischen Abläufe aus gutem Grunde nicht vor. Hiernach hätte jeder einzelne Stadtverordnete - vor Verlassen der Sitzung - dem Stadtverordnetenvorsteher seine (zwingenden) Gründe für sein Entfernen darlegen müssen.
Das interessierte allerdings weder die rot-grünen Fraktionen (ein schwacher Einstand übrigens für den neuen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Karlheinz Müller) noch den Stadtverordnetenvorsteher, der sich umgehend anschickte, die Beschlussunfähigkeit der Versammlung festzustellen und die Sitzung zu schließen. Die Fraktionsvorsitzenden der ungläubig dreinblickenden Opposition hatten ihre liebe Mühe, dem Stadtverordnetenvorsteher zuvor noch ihren berechtigten Protest zu überbringen. Heiko Handschuh für die CDU erläuterte dabei die geltenden Regelungen der Geschäftsordnung, die der Sitzungsleitung offenbar nicht umfassend bekannt waren, insbesondere die vorherige Erklärungspflicht der sich entfernenden Parlamentarier und die Pflicht zur sofortigen Rüge durch den Stadtverordnetenvorsteher, die den kollektiven und vor allem sachgrundlosen und rechtswidrigen Ausmarsch der Regierungskoalition unter Umständen noch hätte verhindern können. Obendrein muss jetzt (leider nachträglich) überprüft werden, ob durch ein rechtswidriges Verlassen der Sitzung überhaupt Beschlussunfähigkeit bewirkt werden kann, wie Dr. Fritz Roth für die FDP-Fraktion völlig zu Recht feststellte.
Darüber hinaus bleibt nach der Geschäftsordnung die zu Beginn der Sitzung festzustellende Beschlussfähigkeit (Anwesenheit mehr als der Hälfte der satzungsmäßigen Mitglieder der Stadtverordnetenversammlung) so lange bestehen, bis - auf Antrag! - das Gegenteil festgestellt wird. Von einem derartigen Antrag ist nichts bekannt und der Sitzungsleiter hat auf einen solchen auch nicht Bezug genommen. Folge: Der Sitzungsleiter hätte die Beschlussunfähigkeit nicht feststellen dürfen und hat daher die Sitzung rechtswidrig geschlossen. Nach alledem wurde aus der CDU-Fraktion zutreffend festgestellt, dass der Stadtverordnetenvorsteher durch sein Amt sichtlich überfordert ist und in Konsequenz dessen umgehend seinen Rücktritt zu erklären hat.
Dieser in seiner Gesamtheit ungeheuerliche und in der Parlamentsgeschichte der Stadt sicherlich einmalige Vorgang ist allerdings keine Lokalposse, nach der man ohne weiteres wieder zur Tagesordnung übergehen könnte. Er offenbart vielmehr das, zurückhaltend formuliert, „merkwürdige“ Verständnis der Mehrheitsfraktionen von Demokratie und Parlamentskultur. Darüber hinaus ist dieses unwürdige und respektlose Verhalten ein Schlag ins Gesicht und eine Beleidigung für die in dieser Weise vor den Kopf gestoßenen Stadtverordneten, den Magistrat (auch die SPD- und Grünen-Stadträte wurden offenbar kalt erwischt) und mehr noch für die Bürgerinnen und Bürger als demokratischer Souverän der Stadt.
Die CDU-Fraktion wird jedenfalls auf ihrer noch kurz vor dem abrupten Sitzungsende gestellten Forderung bestehen, die persönlichen Erklärungen der abgängigen Stadtverordneten zu ihren Gründen für das Verlassen der Sitzung (zumindest einige wurden anschließend in nahegelegenen Lokalitäten gesichtet) schriftlich durch den Stadtverordnetenvorsteher einzuholen, gegebenenfalls über die Aufsichtsbehörde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren einzuleiten und das Parlament hierüber zu unterrichten. Ungeachtet dessen bleibt es bei der schlichten Rechtswidrigkeit dieser konzertierten Aktion. Dem Stadtverordnetenvorsteher hätte es oblegen, durch sofortiges Einschreiten die Würde und Rechte des Parlaments zu wahren und dessen Arbeit gerecht und unparteiisch zu fördern, wie es die Hessische Gemeindeordnung ausdrücklich verlangt. Welche weiteren Konsequenzen der Stadtverordnetenvorsteher aus diesem Vorgang und auch aus seinem persönlichen Versäumnis zieht, bleibt zunächst abzuwarten. Der entstandene Schaden für das Ansehen der Politik in Groß-Umstadt bleibt jedenfalls immens und wird das politische Klima noch lange belasten.
CDU-Fraktion Groß-Umstadt